Realismus im Sport
Letzte Woche haben wir die Frage gestellt, welche Lebenseinstellung die überlegene ist: Optimismus oder Pessimismus. Die Antwort? Realismus! Wie Hochleistungssportler*innen damit umgehen, erfährst Du hier.
Sind Leistungssportler*innen Realisten?
Die meisten langfristig erfolgreichen Leistungssportler*innen sind analytisch vorgehende Realisten. Hat der letzte Artikel gut illustriert, dass Optimisten dazu neigen können, sich etwas vorzumachen, ist gerade dies im Profisport nicht zielführend. Ergebnisse und wie sie zustande gekommen sind, müssen analysiert werden.
Das Training
Jedes Training ist ein Schritt zum Erfolg und andererseits ein Test: Die im Training gezeigten Leistungen, werden meist schon unbewusst mit vorherigen Trainingsleistungen verglichen. Eigentlich passiert nichts zufällig oder beliebig, sondern alles folgt einem Plan für das Ziel.
Aus dieser Fülle an Daten lässt sich später die mögliche Wettkampfleistung oft sehr genau prognostizieren. Die Kunst ist es dabei, sich nicht zu früh unnötig verrückt zu machen. Am Anfang eines Trainingsjahres ist es noch gar nicht nötig oder sogar abträglich, Topleistungen zu erbringen. Damit das Timing passt, müssen die richtigen Schritte zur richtigen Zeit gesetzt werden: Was ist jetzt wichtig und was ist in ein paar Wochen wichtig. Priorisierung ist im Hochleistungstraining der Schlüssel zur Effizient. Von daher sehen Trainingspläne von besonders erfolgreichen Sportler*innen oft überraschend banal aus, weil gute Trainer*innen es verstehen, auf das Notwendige zu reduzieren.
Vorab gesteckte Zwischenziele helfen dabei, den Kurs zu halten.
Die Angst, Nervosität
Nervosität ist normal. Gerade, wenn Dir etwas wichtig ist und Du viel Zeit investiert hast, ist es vollkommen verständlich am Tag X nervös zu sein. Diese Nervosität aktiviert auch und führt dazu, dass Du dich als Sportler*in am Tag X auch vollkommen verausgaben kannst (oder Du Deine Präsentation top ablieferst).
Versagensangst hingegen ist lähmend. Eine sehr intensive Vorbereitung, bei der Du die einzelnen Schritte immer wieder durchgegangen bist und visualisiert hast ist hilfreich, aus der lähmenden Angst eine erträgliche (nicht unbedingt angenehme) Nervosität zu machen.
Ob Du einen Wettkampf bestreitest oder vor mehreren hundert Leuten redest, wenn es soweit ist, bist Du die Aufgabe idealerweise schon mehrfach im Kopf durchgegangen. Das gibt Dir die Sicherheit, zu improvisieren, wenn etwas nicht perfekt läuft. Das tut es nämlich nie.
Der Wettkampf
Beim Startschuss entlädt sich die ganze Nervosität in Energie. Wettkämpfe machen Sportler*innen Spaß. Viele Sportler*innen ziehen allein aus diesem Umschwung Nervosität in Bewegungsenergie beim Startschuss einen Kick und freuen sich, endlich zeigen zu können, was in ihnen steckt.
Sehr gut vorbereitete Athlet*innen wissen schon vor dem Start ziemlich genau, wo ihre Leistung am Wettkampftag liegen wird. Nicht wo sie liegen soll, sondern wo sie liegen wird. Die Bandbreite beim Resultat befindet sich meist im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich. Dieses Wissen bekommen sie aus der Analyse der Trainingsdaten, die sehr gut vorzeichnen, was möglich ist und was nicht. Es verhält sich im Übrigen oft auch mit Verkaufszahlen sehr ähnlich. Es gibt glückliche Momente, die aber oft mit viel Arbeit herbeigeführt wurden.
Emotion im Sport – Impulskontrolle
Die erfolgreichsten Sportler*innen, die ich betreuen durfte, trennen in Dinge, die sie beeinflussen können und nicht beeinflussen können. Sich über das Wetter aufzuregen, bringt nichts. Über ungerechte Behandlungen durch Schiedsrichter ebenso wenig.
Egal ob Wettkampf oder Berufsleben: Es werden negative Sachen passieren, die man nicht ändern kann: Hier hilft im Moment der Leistungsabgabe Akzeptanz meisten. Die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, ohne seine Energie in unnötigen Emotionen zu vergeuden. Jeder Ärger im Moment des Wettkampfs kostet Energie und lenkt vom Ziel ab. Die besten schaffen es zwar, Energie daraus zu ziehen. Negativspiralen sind jedoch zu vermeiden.
Das heißt nicht, dass man Fehlentscheidungen auf immer und ewig akzeptieren muss. Diese sollten aber in der Analysephase überdacht und wenn nötig thematisiert werden.
Der Schmerz
Schmerz gehört im Leistungssport dazu. Wenn er kommt, helfen auch keine positiven Plattitüden, die man vor sich hinsagt. Tatsächlich ist es so, dass Leistungssportler*innen sich schon im Vorfeld (Im Training schon) damit auseinandersetzen und lernen damit umzugehen. Der Deal, den sie mit sich abschließen, klingt in etwa so: „Ich habe dieses Ziel, ich habe mich so lang darauf vorbereitet, dass diese Anzahl an Minuten mit dieser Schmerzintensität für mich zumutbar ist. Nachdem ich diesen Punkt für mich abgehakt habe versuche ich noch, die Dauer des Wettkampfs in kleine Ziele aufzuteilen, um mich besser auf das hier und jetzt zu konzentrieren.“
Dazu zwei Dinge:
1) Wie groß der Schmerz ist und wie lang Schmerz toleriert wird, bleibt jedem selbst überlassen. Wichtig ist: Sportler*innen leiden irgendwann einmal für ihre Ziele, auch wenn es noch so mühelos aussieht. Das ist deswegen wichtig, weil man ja oft selbst den Eindruck hat, dass es allen anderen oft leichter fällt. Dieser Umstand hilft vielen dabei, besser mit ihren Herausforderungen klar zu kommen.
2) Das Aufteilen in kleine Ziele beim Wettkampf hilft, den Fokus aufrecht zu halten (Gegenwart) und nicht von der Länge des Wettkampfs (Zukunft) überwältigt zu werden. Mindfulness oder Konzentration auf das Jetzt bedeutet in einem Marathon zum Beispiel, sich immer auf die nächsten 3 bis 4 Minuten zu konzentrieren. Gerade wenn es in der letzten halben Stunde hart wird.
Die Analyse
Nach dem Wettkampf kommt Freude oder Trauer. Diese Phase sollte man genießen oder ausleben, um sich dann der Analyse zuzuwenden. Egal, ob der Wettkampf gut gelaufen ist oder nicht. Viele weniger gute Sportler*innen machen den Fehler, das geleistete nicht zu analysieren. Ohne Analyse kein Fortschritt.